Dissertation Project Iakovleva (Abstract)
Wege und Formen kultureller Annäherungen zwischen Russland und Japan – von der frühen Meiji-Zeit bis zum Russisch-Japanischen Krieg (1904–05)
(Betreuung: Prof. Dr. Evelyn Schulz, LMU)
Exposée
In dieser Dissertation sollen Wege und Formen kultureller Annäherungen zwischen Russland und Japan in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts untersucht werden. Der Fokus liegt dabei auf dem Zeitraum von der frühen Meiji-Zeit bis zum Ausbruch des Russisch-Japanischen Krieges im Februar 1904. In diesem Zeitraum entwickelte Japan umfassende und vielseitige Kontakte und Beziehungen mit Europa und Nordamerika. Diese erforderten umfassende Kenntnisse europäischer Sprachen und Kulturen, weshalb ausländische Spezialisten nach Japan eingeladen wurden, um zukünftige japanische Fachkräfte auszubilden. Eines der großen Zentren, in denen erstmals aktiv mit der Sprachausbildung von Fachkräften begonnen wurde, war die 1873 gegründete Fremdsprachenschule Gaikokugo Gakkō 外国語学校 in Tokyo. Sie bestand aus fünf Abteilungen (Englisch, Französisch, Chinesisch, Koreanisch, Russisch), das Studienprogramm war auf fünf Jahre ausgelegt. Die Fremdsprachenschule wurde zum Ausgangspunkt der Studien über Russland in Japan. In der russischen Abteilung arbeiteten zahlreiche Emigranten, die aus dem zaristischen Russland geflohen waren, darunter der Geograf Léon Metchnikoff (1838–1888), der politische Emigrant Andrej Korolenko (1849-?) und der russische Revolutionär Nikolai Tschaikowsky (besser bekannt als Nikolai Grey, 1850–1926). Im Unterricht erzählten sie ihren japanischen Studierenden von ihrem Heimatland und lasen ihnen u.a. Gedichte russischer Dichter und Auszüge aus russischen Romanen vor, um sie mit Russland und seiner Kultur vertraut zu machen.
Nicht weniger bedeutsam, ja sogar das wichtigste Zentrum der russischen Kultur in Japan waren die neu gegründeten orthodoxen Kirchen und Priesterseminare für Männer und Frauen. Nikolai von Japan (Iwan Kasatkin) (1836–1912) brachte das orthodoxe Christentum nach Japan. Dieser reiste im Alter von 24 Jahren im Jahr 1861 nach Hakodate und unternahm vielfältige Aktivitäten, um das orthodoxe Christentum in Japan und damit die russische Sprache und Kultur zu verbreiten. Mittlerweile gibt es in der russischen Japanologie umfangreiche Forschungen über Nikolai und dessen religiösen Tätigkeiten in Japan; ein bisher kaum beachtetes Forschungsfeld sind jedoch die Tätigkeiten und Inhalte der von ihm geschaffenen Seminare. An diesen studierten neben zukünftige Kirchenministranten eine Vielzahl an Personen, die sich aus unterschiedlichen Motiven heraus für das orthodoxe Christentum interessierten. Darüber hinaus gründete Nikolai Frauenseminare in Tokyo, Kyoto und später in Yokohama. Damals gab es in Japan nur einige wenige Bildungseinrichtungen für Frauen; in den von Nikolai geschaffenen Institutionen erwarben Hunderte von Frauen einen Abschluss. Einige von ihnen spielten eine wichtige Rolle in der Verbreitung der russischen Kultur und im öffentlichen Leben Japans, wie etwa Senuma Kayō 瀬沼夏葉 (1875–1915), eine bedeutende Übersetzerin russischer Literatur, oder Kitagawa Hatsu 北川波津 (1858-1938), die 1899 ein Waisenhaus in Tokyo, das Tōkyō Kojiin 東京孤児院gründete, das heutige Tōkyō Ikusei En 東京育成園.
Zielsetzung
Ziel der Arbeit ist es, Umfang und Verbreitung der russischen Kultur in Japan in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu erforschen. Die Forschung konzentriert sich dabei thematisch auf die Tätigkeiten von Akteurinnen und Akteuren im Kulturtransfer. Damit sind nicht nur Russinnen und Russen gemeint, die in Japan arbeiteten, sondern auch Japanerinnen und Japaner, die die russische Sprache beherrschten und über umfassende Kulturkenntnisse verfügten. Ein weiterer Fokus liegt auf den Zentren in Japan, in denen die russische Sprache, Literatur, Kultur und das orthodoxe Christentum gelehrt wurden. Mit der Erforschung der kulturellen Annäherungen zwischen Russland und Japan in der Meiji-Zeit sollen die bereits bestehenden Forschungen zu interkulturellen Beziehungen in der Japanforschung ergänzt und um bisher wenig beachtete Perspektiven erweitert werden.