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Terayama Shūjis "Tare ka kokyō o omowazaru"

Autofiktionale Heimatprosa als kulturhistorisches Zeugnis über Japan zwischen Zweitem Weltkrieg und Studentenprotest

28.11.2013

Projektvorstellung von Carolin Fleischer, M.A., cand. phil. (München)


Der 1969 von dem gegenkulturellen Künstler Terayama Shūji (1935‑1983) veröffentlichte Text Tare ka kokyō o omowazaru [deutsch: Wer denkt nicht an die Heimat] (Terayama 2005) gilt unter japanischen Forschern als "zu zeitige Autobiografie" (Nagao 2002:23). Im Zentrum des Prosatexts stehen mit "Autofiktion" und "Heimat Tsugaru" zwei für das Werk von Terayama leitmotivische Topoi. Der Narration erfolgt episodisch, chronologisch und aus der Perspektive eines Ich‑Erzählers. Der erste Teil des Texts umfasst 37 Kapitel, trägt als Titel mit Tare ka kokyō o omowazaru die Überschrift des Gesamttexts und erzählt von der Kindheit und Jugend in der entlegenen nordjapanischen Region Tsugaru, heute Teil der Präfektur Aomori. Der zweite Teil ist mit nur acht Kapiteln kürzer. Er ist übertitelt mit Tōkyō erejī [deutsch: Tokio Elegie] und narrativiert die ersten Erwachsenenjahre des in die japanische Hauptstadt Tokio gezogenen Protagonisten.

Die biografistisch geprägte und durch Autorendiskursen (sakka‑ron) dominierte japanische Forschung zu Terayama begreift Tare ka kokyō o omowazaru als Autobiografie (jiden bzw. jijoden): Man untersucht die mannigfaltigen Parallelen zwischen der Erzählung und dem Leben von Terayama oder fragt nach dem Verhältnis von Fiktion und Realität (Nagao 2002; Takatori 1992). Abseits dieser biografiezentrierten Zugänge ist Tare ka kokyō o omowazaru zu lesen als ein kulturhistorisches Zeugnis über das Japan der Shōwa‑Zeit. Im autobiografischen Gewand thematisiert der Text geschichtliche Ereignisse und Zäsuren (inter‑)nationalen Rangs – angefangen beim Putschversuch vom 26. Februar 1936 (Ni-niroku-jiken) über den Zweiten Weltkrieg in Ostasien bis hin zu den Studentenprotesten der 1960er Jahre. Verflochten sind diese großen historischen Momente mit zahllosen Geschichten um lokale kulturelle Praktiken, Institutionen, Mythen, Volksglaube, Legenden u. a. Die Stoffe und Quellen der kleinen Geschichten reichen weit vor die Lebenszeit des Künstlers zurück; sie sind durch Terayama in kleinteiliger Recherche und in Expertengesprächen erarbeitet worden und werden literarisch‑fiktionalisiert dargeboten.

Mit meinem Vortrag greife ich das Thema der Verflechtungen von Geschichte und Geschichten in Tare ka kokyō o omowazaru auf und werde hierzu insbesondere die folgenden Fragen diskutieren:

  • Welche poetologische Form und Funktion haben die Verflechtungen von Geschichte und Geschichten?
  • Welches Zeugnis über Japan zwischen Zweitem Weltkrieg und Studentenprotest legt der Text ab?
  • Was ist das autofiktionale Ich‑Erzählen formal charakterisiert und welche Wirkung erzielt es?
  • Wie sind Faktizität und Fiktionalität, aber auch Individuum, Gesellschaft und Staat gezeichnet?
  • In welcher Weise erfolgt die Perspektivierung von lokaler, nationaler und globaler Kultur bzw. Geschichte?

Auswahlbibliografie:

  • Terayama, Shūji (2005). Tare ka kokyō o omowazaru [Wer denkt nicht an die Heimat]. Tokyo: Kadokawa Shoten.
  • Nagao, Saburō (2002). Kyokō jigoku: Terayama Shūji [Fiktionshölle: Terayama Shūji]. Tokyo: Kōdansha.
  • Takatori, Ei (1992). Terayama Shūji ron: Sōzō no mashin [Terayama Shūji‑Diskurs: Dämon der Schöpfung]. Tokyo: Shichōsha.