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Sektion Politik -- Session 1: Abes Rückkehr und der (Nicht-)Wandel in Japans Politik

Abes Politik und Politik unter Abe. Eine Momentaufnahme

Gabriele Vogt und Steffen Heinrich

Die zweite und dritte Amtszeit von Shinzō Abe sind geprägt von sehr unterschiedlichen Trends und Entwicklungen. Auf der einen Seite hat Abes Regierung seit 2012 eine Vielzahl von Veränderungen und Diskussionen angestoßen und bereits einige Reformen umgesetzt, die auch über die Grenzen Japans hinaus große Aufmerksamkeit erhalten. Dazu gehören die Wirtschafts- und Geldpolitik unter dem Banner der "Abenomics", eine neue Sicherheitspolitik, die eine Zäsur in der japanischen Politik der Nachkriegszeit darstellen könnte, aber auch Maßnahmen, die auf eine höhere Beteiligung von Frauen auf dem Arbeitsmarkt abzielen. Auf der anderen Seite lassen sich eine Reihe von Kontinuitäten erkennen von denen einige unter vielen Beobachtern als schon längst überwunden galten. Die derzeitige Dominanz der LDP und die Schwäche der Opposition in beiden Kammern des Parlaments etwa erinnern stark an das sogenannte "55er System" als eine zersplitterte Opposition einer schier übermächtigen Regierungspartei LDP gegenüberzustehen schien. Auch im Hinblick auf die Fiskalpolitik zeigen sich bekannte Muster, etwa der Rückgriff auf eine schuldenfinanzierte Ausgabenpolitik oder auch in vielen Bereichen der Sozial- und Familienpolitik, die sich sehr deutlich an traditionellen Wertvorstellungen zu orientieren scheint. In diesem Vortrag möchten wir einen Überblick über die wichtigsten Entwicklungen und Entscheidungen der "Ära Abe" geben und eine Diskussion darüber anregen, welche Entscheidungsmuster, Leitlinien und auch Widersprüche sich in Abes Politik sowie in der weiteren politischen Landschaft bereits abzeichnen — und wie sich diese erklären und bewerten lassen. 

Die LDP unter Abe II. Zurück in die gute alte Zeit?

Chris Winkler

Der Regierungswechsel im Jahre 2009 galt vielen Beobachtern als endgültiger Beweis dafür, dass die institutionellen und gesellschaftlichen Veränderungen (Wahlrechtsreform, Landflucht, etc.) einen fundamentalen Wandel im politischen System Japans herbeigeführt hätten. Das Nachkriegssystem mit der dominanten Regierungspartei, der Liberaldemokratischen Partei (LDP) an der Spitze sei demnach durch ein kompetitives Parteiensystem mit zwei großen Parteien, die sich periodisch in der Regierungsverantwortung ablösen, ersetzt worden. Dabei würden sich beide Parteien einen inhaltlichen Kampf um die wahlpolitisch wichtige Masse der Wechselwähler liefern. Diese Realität stand generell im Einklang mit politikwissenschaftlichen Beobachtungen zur Entwicklung von Parteisystemen (Duverger, Downs, für Japan: Ramseyer und Rosenbluth).
Obwohl die obengenannten sozialen und institutionellen Gegebenheiten, die diesen Wandel (mit)herbeigeführt hatten, sich nicht verändert haben, scheint sich das Parteiensystem im Allgemeinen und die LDP im Speziellen, zurückentwickelt zu haben. Dies betrifft nicht nur die Tatsache, dass sich die LDP wie schon in den 1990er Jahren einer zersplitterten Opposition gegenübersieht, sondern auch die Politik. Diese Entwicklung spiegelt sich u.a. in den Debatten um wiederaufkommende Klientel-Politik und den Rechtsruck innerhalb der LDP wieder. Anhand einer vergleichenden Inhaltsanalyse von Wahlprogrammen auf Basis von Daten des Comparative Manifesto Project (CMP) soll aufgezeigt werden inwieweit sich die Programmatik der LDP wirklich (zurück oder weiter)entwickelt hat und wie diese Entwicklungen einzuordnen sind. Zu diesem Zweck sollen die Wahlprogramme der LDP mit ihren Pendants konservativer Parteien in westlichen Industriestaaten verglichen werden.

"Greens Japan". Ein neuer Akteur in der japanischen Parteienlandschaft?

Phoebe Holdgrün

Neuformierungen der japanischen Parteienlandschaft auf dem konservativen Flügel ziehen gegenwärtig viel Aufmerksamkeit auf sich. Doch wie steht es um progressive Oppositionsparteien, vor allem um solche, die einen Atomausstieg fordern? Angesichts der Massendemonstrationen für den Stopp der Nutzung von Kernenergie schienen sich nach der Dreifachkatastrophe vom 11. März 2011 zunächst neue Möglichkeiten zu eröffnen, sowohl für einen Wandel der Atompolitik, als auch potentiell für mehr Erfolgsaussichten für parteipolitische Vertreter dieses Flügels. Nach zwei klaren Wahlausgängen zugunsten der LDP und der Absage der Regierung um Premierminister Abe an einen Atomausstieg hat sich dieses Gelegenheitsfenster für politischen Wandel jedoch allem Anschein nach wieder geschlossen.
Diese Präsentation zieht Bilanz zu Optionen, die sich für progressive politische Organisationen, die für den Atomausstieg eintreten, im politischen Prozess seit 2011 eröffneten und blickt auf mögliche künftige Entwicklungen. Als Fallbeispiel dient die grüne Partei Japans (Midori no tō, „Greens Japan“), die sich aus Vorläuferorganisationen im Juli 2012 neu gegründet hat. Diese politische Organisation wäre eine mögliche Wahlalternative zu Oppositionsparteien wie der Kommunistischen oder der Sozialdemokratischen Partei. Sie ist Mitglied der Global Greens; zu ihren Zielen gehören neben dem Atomausstieg z.B. eine "faire" Gesellschaft mit Nachhaltigkeit, Gleichstellung und Diversität. Obwohl die Neugründung unabhängig von 3.11 anberaumt worden war, erhielten die Grünen besonders aufgrund der Dreifachkatastrophe starken Zuspruch. Dieser Aufwind ließ sich jedoch nicht in einen Wahlerfolg bei den Oberhauswahlen 2013, bei denen die "Greens Japan" erstmals angetreten waren, ummünzen. Zukünftiger Erfolg erscheint fraglich.
Konkret untersucht dieser Beitrag die political opportunity structure für die japanischen Grünen, indem Hindernisse aufgezeigt werden, die sich aufgrund der politischen und institutionellen Rahmenbedingungen stellen. Ausgangshypothese ist, dass es sich bei der neu gegründeten grünen Partei Japans trotz des großen Zuspruchs nach 3.11 allein um eine weitere "unprofessionelle" (Müller-Rommel 1992, Schmidt 2013) Gruppe mit "grünen" Zielen aber ohne langfristige Erfolgschancen handelt, wie bereits im Falle ihrer Vorläuferorganisationen. Diese Perspektive spricht gegen einen politischen Wandel auf der progressiven Seite der japanischen Parteienlandschaft, der den Grünen einen Zugang bieten könnte. Die Datengrundlage für die Analyse speist sich aus qualitativen halbstrukturierten Interviews mit Mitgliedern der Grünen und anderer progressiver Oppositionsparteien, teilnehmender Beobachtung sowie aus der Inhaltsanalyse von schriftlichen Materialien der Organisation.