Japan Zentrum
print

Links und Funktionen
Sprachumschaltung

Navigationspfad


Inhaltsbereich

Sektion Politik -- Session 5: Wandel und Nicht-Wandel in der japanischen Arbeitsmarktpolitik

(Keine) Angst vorm Wähler? Sozial- und Arbeitsmarktreformen der Regierungen Abe I-II

Steffen Heinrich

2006 stellte der so genannte "labour big bang" ein zentrales Anliegen der ersten Regierung Abe dar. Ähnlich zur Liberalisierung der Finanzmärkte sollte der japanische Arbeitsmarkt durch weitreichende Reformen weiter flexibilisiert werden. Als Abe nach nur einem Jahr Amtszeit zurücktrat, hatte seine Regierung allerdings oftmals das Gegenteil davon erreicht: fast alle verabschiedeten Reformen führten zu Verschärfungen bestehender Regelungen. Vorhaben, wie die Reform der gesetzlichen Überstundenregelung (bekannt als "white collar exemption") scheiterten nicht zuletzt, weil sie großen Widerstand in der Opposition, bei Gewerkschaften aber auch in der Öffentlichkeit hervorriefen. Zudem trugen sie zu den niedrigen Zustimmungsraten für Abes erstes Kabinett bei. Seit der erneuten Amtsübernahme 2012 stehen erneut ähnliche Reformvorschläge auf der politischen Tagesordnung. Diese sind zwar wieder umstritten, scheinen aber diesmal keinen erkennbaren Einfluss auf die nach wie hohe Unterstützung für die Regierung zu haben und werden auch weniger breit in der Öffentlichkeit diskutiert.
Der Beitrag erklärt wie es zu diesem widersprüchlichen Ergebnis kommen konnte und beleuchtet die Bedeutung von Wählerpräferenzen und der Öffentlichkeit für Entscheidungsprozesse in der Sozial- und Arbeitsmarktpolitik in Japan. Er zeigt, dass Politikentscheidungen und Reformdynamik nicht nur durch institutionelle "Vetospieler" oder programmatische Orientierung von Entscheidungsträgern geprägt sind, und auch keine direkte Abbildung von oft diffusen Wählerpräferenzen darstellt, wie in der politikwissenschaftlichen Forschung häufig angenommen wird. Vielmehr lassen sich die Unterschiede als Ergebnisse vor allem als taktische Manöver der Regierung verstehen, mit dem Ziel Wähler zu mobilisieren bzw. politischen Risiken unpopulärer Maßnahmen möglichst gering zu halten.

Gesetz und Wirklichkeit. Gleichstellung in der japanischen Arbeitswelt

Stephanie Aßmann

Das Gender-Gleichstellungsgesetz (Danjo koyō kikai kintō-hō) wurde 1986 erlassen und hat seitdem zwei Reformen in den Jahren 1997 und 2006 durchlaufen. Zusammen mit dem Rahmengesetz für eine gleichberechtigte Gesellschaft (Danjo kyōdō sankaku shakai kihon-hō) bilden diese zwei Gesetze den Grundpfeiler für die Umsetzung von Gleichberechtigung der Geschlechter in der japanischen Gesellschaft. Gleichberechtigung nimmt auch einen hohen Stellenwert im dritten Pfeiler von Abenomics ein, denn das oft brachliegende Potential von Frauen soll im Zuge wirtschaftlicher Reformen stärker genutzt werden. Doch trotz umfassender Gesetze, die indirekter Diskriminierung bei Einstellungen und Beförderungen am Arbeitsplatz entgegenwirken sollen, ist Japan nach wie vor internationales Schlusslicht in der Gleichberechtigung. Zwar sind 43,5 Prozent aller Frauen berufstätig, aber seit Beginn der 90er Jahre ist ein Anstieg von Teilzeitarbeit vor allem unter Frauen zu verzeichnen. Im Jahre 2008 befanden sich 54,4 Prozent aller Frauen in Teilzeitbeschäftigungsverhältnissen, die niedrig entlohnt wurden und von Instabilität geprägt waren.
Diese Arbeit geht der Frage nach, welche Faktoren die Umsetzung von Gleichberechtigung am Arbeitsplatz behindern. Ein Grund für die schleppende Umsetzung der Gleichberechtigung liegt in der Unverbindlichkeit des Gleichstellungsgesetzes, das für Arbeitgeber lediglich einen empfehlenden Charakter hat und keine Sanktionen bei Nichteinhaltung vorsieht. Doch auch die Einstellung von Frauen zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf hat einen Einfluss. Auf der Basis von Daten und Einzelinterviews mit berufstätigen Müttern in Sapporo und Tokyo wird die Einstellung von Frauen zum Gleichstellungsgesetz und zur Vereinbarkeit von Familie und Berufstätigkeit untersucht.

Abes "Womenomics". Politikwandel oder Papiertiger?

Phoebe Holdgrün

Dass im Juni 2014 ein Skandal um sexistische Zwischenrufe aus den Reihen der Regierungspartei das japanische Unterhaus erschütterte, kam ungelegen für die Überzeugungskraft der Devise, die Ministerpräsident Shinzo Abe Anfang des Jahres ausgegeben hatte: Innerhalb des größeren Rahmens seiner Wirtschaftsreformen ("Abenomics"), sei Ziel, so Abe, dass Frauen in der japanischen Gesellschaft, vor allem im Erwerbsleben "glänzen". Abe‘s Strategie 2020 — genannt "Womenomics" — visiert an, die weibliche Beteiligung am Arbeitsmarkt um 5 Prozent zu erhöhen und 30 Prozent aller Führungspositionen in Politik und Wirtschaft mit Frauen zu besetzen. Aus zwei Gründen sind "Womenomics" jedoch kritisch zu betrachten. Erstens sind Abe's Ziele keineswegs neu. Das 2000 in Kraft getretene progressive Basic Law for a Gender-equal Society hat Geschlechtergleichstellung bereits als "top priority" für die japanische Gesellschaft im 21. Jahrhundert ausgerufen und 30 Prozent Frauen in Führungspositionen ist schon seit längerem Ziel auf der Agenda der das Gesetz ausführenden Rahmenpläne. Zweitens verwundert es in Anbetracht von Abe's erster Regierungszeit 2006/2007, dass sich der Ministerpräsident nun offensichtlich als Förderer des Gleichstellungsgedankens präsentiert. Seinerzeit fand der von konservativen Politikern offen unterstützte aggressive Backlash gegen die Gleichstellungsideen des Basic Law for a Gender-equal Society seinen Höhepunkt. Ministerpräsident Abe galt damals als Unterstützer der Gleichstellungsgegner. Die Implementierung von Gleichstellung in Japan erlebte einen herben Rückschlag und stagnierte seither. Dies zeigt sich auch daran, dass Japan im Global Gender Gap Report 2013 einen Negativrekord für sich einfuhr: Platz 113 von 136 Ländern.
Dieser Beitrag schließt an eine Präsentation beim vergangenen Japanologentag (Zürich 2012) an, bei der die Umsetzung des Basic Law for a Gender-equal Society unter der DPJ-Regierung kritisch hinterfragt wurde. Nunmehr gilt es, die neuesten Entwicklungen der japanischen Gleichstellungspolitik unter Premierminister Abe auf den Prüfstand zu stellen. Was verspricht "Womenomics", was für konkrete Maßnahmen verbergen sich dahinter, und inwiefern unterscheidet sich dieses Programm und die Art und Weise seiner Implementierung von der bisherigen Agenda? Werden wir unter der zweiten Regierungszeit Abe Zeuge eines beachtlichen Politikwandels, der Aufwind für die seit Jahren stagnierende Gleichstellungspolitik verspricht? Oder handelt es sich vielmehr um Nichtwandel, einen weiteren "Papiertiger", der auch schon unter der DPJ zu beobachten war? Werden Frauen vielmehr nun zusätzliche Bürden zur aktiven Beteiligung am Arbeitsleben angelastet, ohne überzeugende politische Lösungen für einen Ausgleich zu anderen Verpflichtungen bei Kinderbetreuung und Hausarbeit anzubieten? Dieser Beitrag untersucht diese Fragestellungen anhand einer Analyse von Experteninterviews aus Politik, Bürokratie und Bürgerverbänden und Regierungsdokumenten aus den Jahren 2014 und 2015.