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Sektion Religion -- Session 3

Importierte Heiligkeit. Christliche Raumkonzepte in Japan

Beate Löffler

Religionen sind eng in ihren kulturellen Kontext eingebunden, Vorstellungen von Sakralität und Raum nicht selten das Ergebnis langanhaltender regionaler Ausformungen. So verlangt die Integration neuer religiöser Praktiken in ein bestehendes kulturelles System einen komplexen Aushandlungsprozess.
Die Entwicklung der christlichen Gemeinden in Japan seit dem Wiedereinsetzen der Mission während der 1850er Jahre bietet eine Möglichkeit, die Akkulturation importierter Raum- und Sakralitätskonzepte beispielhaft nachzuvollziehen. So lässt sich über mehr als ein Jahrhundert hinweg beobachten, wie die liturgisch-performativen und architektonisch-materiellen Räume westlicher Herkunft mit den japanischen Vorstellungen sozialen Raumes in Kirchengemeinde und Gesellschaft interagieren. Darüber hinaus werden unterschiedliche Interpretationen des christlich-symbolischen Raumes sichtbar, wenn die ursprünglich sakrale Bauform Kirche durch die nicht-christliche Mehrheitsgesellschaft zur ebenso weltlichen wie romantischen Hochzeits-kapelle umcodiert wird.
Der Vortrag basiert auf einem abgeschlossenen Dissertationsprojekt zur Akkulturation des christlichen Kirchenbaus in Japan und einer laufenden Forschung zur westlichen Architekturrezeption. Er nutzt methodische Zugänge aus mehreren Disziplinen, um in ganz grundsätzlicher Weise das Raumverständnis der Architektur mit jenem der Sozial- und Kulturwissenschaften zu verknüpfen. Auf Japan und den sakralen Raum bezogen kann dadurch u. a. gezeigt werden, dass der christliche Anspruch auf Alleinvertretung und die in Europa fest etablierte Position von Kirche im sozialen wie materiellen Gefüge der Stadt in Japan ins Leere laufen: Ein Raum-anspruch, der durch die Gesellschaft nicht verstanden wird, ist unwirksam. Währenddessen greift der soziale Raum der christlichen Gemeinde weit aus, beeinflusst die Wahrnehmung von Zugehörigkeit, Spiritualität und sozialer Verantwortlichkeit über die Grenzen der religiösen Minderheit hinaus, bis hinein in die rituellen Performanzen in Buddhismus und Shintō-Glauben.

Die (Er)Schaffung "heiliger Räume" durch neue Religionen. Das Beispiel der Meidōkai im Tōkyō der Zwischenkriegszeit

Anne Lange

Die Untersuchung Neuer Religionen erlaubt einen detaillierten Einblick in die Anfangsstadien der Entstehung religiöser Gruppierungen (Astley 2006: 91). Daher erscheint die Untersuchung neureligiöser Gruppierungen Japans für die Analyse des Prozesses der Schaffung sakraler Räume besonders fruchtbar. Denn aus einer konstruktivistischen Perspektive betrachtet sind sakrale Räume "[durchdrungen] von wirtschaftlichen, sozialen und politischen Kräften" (Petermann 2007: 50); sie werden erst durch Markierungen, rituelle Handlungen und menschliche Wahrnehmungen geschaffen (Petermann 2007: 49, 53). Sakrale Räume erfüllen für religiöse Gruppierungen als derart geladene Orte ritueller und kultischer Handlungen eine integrale Funktion, indem sie entscheidend zu ihrer Identität als Religionsgemeinschaft beitragen. Es stellt sich deshalb die Frage nach den konkreten Akteuren, die an der Schaffung sakraler Räume und damit der religiösen Identität der Gruppierung beteiligt sind sowie den dabei ablaufenden sozialen und kulturellen Prozessen ihrer Etablierung. D. h. wer definiert den sakralen Raum einer religiösen Gruppierung? Unter welchen Bedingungen werden die als sakrale Räume deklarierten Orte als solche gesellschaftlich anerkannt? Wie werden sie kulturell markiert? Unter welchen Bedingungen wird Ihnen diese Anerkennung von der Gesellschaft ggf. wieder entzogen?
Die o. g. Fragen werden im Rahmen des Referats anhand des Fallbeispiels der wissenschaftlich bisher noch wenig beachteten Meidōkai exemplarisch beantwortet. Die Meidōkai ist eine japanische neureligiöse Gruppierung, die ihren sakralen Raum in einem Areal im Zentrum von Tokyo in der Zwischenkriegszeit errichtete. Anhand der Entstehung und Etablierung der Meidōkai wird zunächst die Festigung ihrer Identität als Religionsgemeinschaft durch die Schaffung dieses sakralen Raumes herausgearbeitet. Insbesondere wird die Rolle des Gründers der Gruppierung bei diesem Prozess beleuchtet. Schließlich wird auf den Beitrag, den der sakrale Raum zur gesellschaftlichen Anerkennung der Gruppierung als Religionsgemeinschaft leistete, und die Rolle, die er nur wenige Jahre später beim Verlust dieser Anerkennung spielte, eingegangen.

Zwischen Heilung und kegare. Die Toilette als sakraler Raum in den Ritualen von Schwangerschaft und Geburt

Christian Göhlert

So abwegig der Gedanke der Toilette als heiliger Ort auf den ersten Blick scheinen mag, so vielfältig sind die auf sie bezogenen Glaubensvorstellungen, Tabus und Rituale. Die Wurzeln der vor allem im esoterischen sowie im Zen-Buddhismus verbreiteten Verehrung des Ususama-Myōō 烏枢沙摩明王 als Schutzgottheit der Toilette lassen sich bis in die Heian-Zeit zurückverfolgen, während man sich die Toilettengottheit (厠神, 便所神, etc.) im Volksglauben vieler Regionen mal als entstellte und verkrüppelte, mal als schöne weibliche Gottheit vorstellte.
All diesen Figuren gemein ist die wichtige Rolle, die sie im Zusammenhang mit Schwangerschaft und Geburt spielten. Zunächst beim anzan kigan, wenn es darum ging, die Toilette und ihre Gottheit durch regelmäßige Reinigung, Opfergaben und die Einhaltung bestimmter Tabus gnädig zu stimmen, um so eine sichere Geburt zu gewährleisten. Im Fall einer schweren Geburt kannte man verschiedene Rituale, um die Toilettengottheit von ihrem Wohnsitz abzuholen und sie direkt an den Ort des Geschehens zu bitten. Nach der Geburt diente die Toilette mitunter der Entsorgung der Nachgeburt, der ebenfalls besondere rituelle Bedeutung zukam. Im Zuge des benjo- bzw. setchin mairi schließlich besuchte man die Toilette, um der Gottheit das neugeborene Kind vorzustellen. Teile dieser Bräuche haben sich bis in die Gegenwart erhalten.
Aufbauend auf den bestehenden Interpretationsansätzen in der japanischen Volkskunde und Religionswissenschaft möchte dieser Beitrag die Rolle der Toilette insbesondere in Zusammenhang mit den Ritualen von Schwangerschaft und Geburt beleuchten und versuchen, diese im Gesamtkontext des japanischen Volksglaubens zu verorten. Besondere Aufmerksamkeit soll dabei der wechselseitigen Beziehung zwischen tradierten volksreligiösen Vorstellungen und den Lehren der institutionalisierten Religionsgemeinschaften zukommen.