Dissertationsprojekt Sueyoshi (Exposee)
Transnationalisierung von lokalem Protest: Aktivismus gegen US-amerikanische Militärstützpunkte in Okinawa und der Menschenrechtsnarrativ
(Betreuung: Prof. Dr. Gabriele Vogt)
Diese Dissertation beleuchtet das Thema von Menschenrechtsverletzungen von Aktivist:innen sozialer Bewegungen und die Rolle und Verantwortung staatlicher Akteure. Dazu wird der theoretische Ansatz von Transnationalisierungsprozessen im Zuge von Menschenrechtsbewegungen getestet und kritisiert. Als Fallbeispiel dient die Protestbewegung gegen US-amerikanische Militärstützpunkte in Okinawa, die von einer Vielfalt von Akteur:innen getragen wird und neben den traditionellen Narrativen Pazifismus und Antimilitarismus, gerade in jüngster Zeit auch Menschenrechtsverletzungen und die Qualität der japanischen Demokratie zentral thematisiert. Zu den Akteur:innen dieser Bewegung zählen unter anderem Teile der lokalen Bevölkerung, Friedensaktivist:innen und Feminist:innen, Vertreter:innen von Nicht-Regierungsorganisationen und Politiker:innen. Der Fokus auf die Menschenrechtsthematik als Kernnarrativ dieser abermals erstarkten Bewegung stellt ein Novum in der bisher geleisteten Forschung zu Protesten auf Okinawa dar. Daten werden durch Beobachtungen und Interviews erhoben und mit einer qualitativen Inhaltsanalyse ausgewertet.
Die Inselpräfektur Okinawa beherbergt ungefähr 70% der auf japanischem Territorium stationierten US-Militäreinheiten und Einrichtungen, deren Präsenz durch den US-amerikanisch-japanischen Sicherheitsvertrag legitimiert ist. Obwohl die lokale Bevölkerung, einige Vertreter:innen der Präfekturregierung und zahlreiche Politiker:innen sich seit Kriegsende 1945 – sowohl während der US-Besatzungszeit bis 1972 als auch nach Eingliederung als Präfektur in den japanischen Staat – kontinuierlich für einen Abzug des Militärs eingesetzt haben, lehnt die japanische Nationalregierung unter fast durchgängiger Führung der Liberaldemokratischen Partei (LDP) dies ab. Die lokale Protestbewegung wirft der Nationalregierung dementsprechend vor, dass die Priorisierung des Sicherheitsbündnisses zwischen Japan und den USA die demokratische Selbstbestimmung und auch individuelle Bürgerrechte in Okinawa untergraben würde. Die Präfektur steht dabei vor einem dreifachen Dilemma: Sie erfährt erstens ganz unmittelbar das Gefahrenpotential regionaler Geopolitik, die durch Spannungen zwischen Japan und den USA mit China und Nordkorea geprägt ist; zweitens die konkreten Effekte des bilateralen Sicherheitsabkommens, nämlich die andauernde Präsenz des US-amerikanischen Militärs und mittlerweile auch der japanischen Selbstverteidigungsstreitkräfte; und drittens eine in der politischen Gestaltungsmacht deutlich eingeschränkten Status der Präfektur gegenüber der japanischen Nationalregierung. Im Wesentlichen problematisiert die Protestbewegung die Frage, wie Okinawa innerhalb der einflussreichen Staaten USA und Japan einen Strategiewechsel in ihrer Okinawapolitik hervorrufen kann, damit die Inselkette nicht länger nur als militärisches Bollwerk genutzt wird. Bis dato zum Einsatz gekommene unterschiedliche Protestrepertoires wie Demonstrationen, ziviler Ungehorsam, Boykotte und die starken Narrative des Pazifismus und der Frauenrechte haben den erwünschten Erfolg nicht erzielt.
In den Jahren 2016 und 2017 beklagten Aktivist:innen und bei den Protesten anwesende Journalist:innen, dass die japanische Polizei bei Protestaktionen in Henoko und Takae die in der japanischen Verfassung garantierten allgemeinen Menschenrechte verletzt habe. Es heißt, dass es während dieser Proteste zu einigen Verhaftungen, die im Nachgang auch von Amnesty International als unrechtmäßig kritisiert worden sind, unverhältnismäßig grober Gewalt sowie rassistischen Kommentaren seitens Polizist:innen gekommen sei. Die Demonstrant:innen und Journalist:innen äußerten Vorwürfe, dass die japanische Regierung unter Abe Shinzō (2006-07, 2012-20) Bürgerrechte wie Meinungs-, Versammlungs- und Pressefreiheit missachten und offen Rassismus und Hassreden gegenüber den Protestakteur:innen dulden würde. Der zu dieser Zeit amtierende Gouverneur Okinawas, Onaga Takeshi (2014-2018), schloss sich der Protestbewegung an und positionierte sich unmissverständlich gegen die Politik der Abe-Regierung. Amnesty International und andere internationale Menschenrechtsorganisationen begannen sich für die lokalen Aktivisten einzusetzen und ermöglichten schließlich Yamashirō Hiroji, der 2016 für Protestaktionen in Takae und Henoko verhaftet worden war und in einem späteren Gerichtsverfahren auf Bewährung verurteilt worden ist, beim UN-Menschenrechtsrat in Genf im Juni 2017 über diese Ereignisse zu sprechen. Damit war es der lokalen Protestbewegung möglich geworden, auf die internationale Bühne zu treten und sich mit global aktiven Menschenrechts-NGOs und Aktivist:innen zu vernetzen.
Diese Dissertation argumentiert, dass die Protestbewegung mit einem Menschenrechtsnarrativ versucht hat, ihr Anliegen über die nationalen Grenzen hinauszutragen, sich mit anderen einflussreichen Menschenrechtsakteur:innen zu vernetzen und so international Solidarität und Unterstützung zu gewinnen. Das ist ihr gelungen, allerdings hat diese sogenannte Transnationalisierung von lokalem Protest nicht den erhofften realpolitischen Effekt erzielt, dass nämlich Tokyo und Washington ihre Sicherheitspolitik überdenken und die US-Militärpräsenz auf Okinawa reduzieren; auch hat die Präfektur bis dato keinen größeren politischen Gestaltungsspielraum erringen können.